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Lebensmittelproduktion

Kultivierter Fleischgenuss

02. Mai 2024

Den saftigen Burger genießen, ohne dass ein Rind dafür sein Leben lassen musste – das ist das Versprechen von In-vitro-Fleisch. Immer mehr Start-ups tüfteln an Fleisch, das aus Stammzellen im Labor gezüchtet wird. Bislang gibt es In-vitro-Fleisch nur in den USA und in Singapur zu kaufen. Im Herbst 2023 hat ein deutsches Unternehmen den ersten Zulassungsantrag für ein Zellkulturwürstchen in der EU gestellt. Doch hilft der kultivierte Fleischgenuss auch beim Klimaschutz?

 

Leonardo DiCaprio widmet sich auch abseits der Leinwand der Kunst. Sei es mit seiner Sammlung, die etwa Werke von Pablo Picasso umfasst – oder mit seinen Investments in zwei Start-ups, die sich In-vitro-Fleisch verschrieben haben: Mosa Meat präsentierte 2013 den ersten zellkultivierten Burger, Aleph Farms 2018 das erste Steak aus dem Bioreaktor. „Unsere Ernährung zu verändern ist einer der Schlüssel, um die Klimakrise zu bekämpfen“, begründete der Umweltaktivist und Oscarpreisträger sein Engagement. Und an der Klimakrise hat der globale Hunger nach tierischen Produkten einen maßgeblichen Anteil.

Von Milch über Wolle bis Fleisch: 14,5 Prozent aller vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen gehen laut Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) auf das Konto der Nutztierhaltung. Eine Situation, die sich künftig noch verschärfen könnte, denn mit der Weltbevölkerung und dem Wohlstand in Industrie- und Schwellenländern wächst auch der Appetit auf Fleisch. Allein von 1965 bis 2020 hat sich die globale Fleischproduktion mehr als vervierfacht. Bis 2050 rechnet die FAO mit einer weiteren Steigerung von rund 35 Prozent.

Dieser globale Hunger könnte zumindest anteilig mit Fleisch aus dem Bioreaktor gestillt werden, ist etwa auch Bill Gates überzeugt. Der Microsoft-Gründer forderte die reichen Staaten der Erde dazu auf, künftig komplett auf synthetisches Rindfleisch umzusteigen, um die Treibhausgasemissionen zu senken.

 

Wassersparendes, aber energiehungriges Verfahren

Bislang wird das Fleisch aus der Petrischale nur in kleinem Maßstab kultiviert. Prognosen über die Vorteile für das Klima sind daher vorläufig. Worüber unter Forschenden aber jetzt schon Einigkeit besteht: Gegenüber der konventionellen Landwirtschaft benötige die Produktion von Zellkulturfleisch weniger Wasser und Fläche, außerdem würden Böden und Gewässer weniger durch Pestizide, Antibiotika oder Düngemittel belastet. Klar ist jedoch auch: Die Bioreaktoren, in denen das Fleisch heranwächst, haben einen hohen Energiebedarf. „Wenn wir den von vorneherein aus erneuerbaren Quellen decken, können wir den CO2-Fußabdruck möglichst klein halten“, sagt Petra Kluger, die an der Hochschule Reutlingen zu In-vitro-Fleisch forscht.

Laut einer Studie des Thinktanks CE Delft entstünden bei der Produktion von einem Kilogramm Kulturfleisch mit fossilen Energieträgern 13,6 Kilogramm CO2 – also ebenso viel wie beim besonders klimaschädlichen Rindfleisch. Käme dagegen Strom aus Wind oder Sonne zum Einsatz, würde der CO2-Fußabdruck auf 2,5 Kilogramm schrumpfen. Das ist rund die Hälfte des CO2-Werts von Hähnchen- oder Schweinefleisch aus konventioneller Tierhaltung.

 

 

 

Wie das Fleisch im Bioreaktor entsteht

Ob Huhn, Schwein oder Rind: Um In-vitro-Fleisch zu erzeugen, gehen Forschende und Food-Start-ups grundsätzlich ähnlich vor. Zunächst wird lebenden Tieren ein winziges Stück Gewebe entnommen. Daraus werden Stammzellen gewonnen, die dann mit einem Nährmedium in einem Bioreaktor vermehrt werden. Über ein Trägergerüst etwa aus Chitin oder Kollagen wachsen die Zellen zu einer größeren Masse zusammen, aus der dann beispielsweise Burgerfleisch geformt oder mit der Ravioli oder Maultaschen gefüllt werden können.

Während der erste Stammzellenburger vor gut zehn Jahren ausschließlich aus Muskelfleisch bestand und den Testessenden zu fade und zu trocken war, kann mittlerweile auch Fettgewebe im Labor kultiviert werden. „Und das spielt für den Fleischgeschmack eine entscheidende Rolle“, erklärt Biologin Kluger.

 

Gesündere Sache?

Das Fleisch aus dem Reaktor könnte sogar gesünder sein als sein natürliches Vorbild: Krankheitserreger oder Parasiten können sich unter Laborbedingungen nicht breitmachen. Und durch Zugabe etwa von Vitaminen kann das kultivierte Fleisch passgenau für die Bedürfnisse unterschiedlicher Zielgruppen designt werden: viel Folsäure für Schwangere, viel Protein für Sportlerinnen und Sportler oder besonders Vitamin-D- und kalziumreiches Fleisch für Seniorinnen und Senioren, das sich dabei auch leichter kauen lässt als der im Stall gewachsene Rinderbraten. „Der Fantasie sind hier eigentlich keine Grenzen gesetzt“, sagt Kluger. Ihre Forschungsgruppe hat zusammen mit der Universität Hohenheim etwa mit dem Zusatz von Vitamin E experimentiert, das bei vielen Menschen im Winter knapp wird.

 

Alternative Nährmedien gefragt

Ganz ohne Tierleid kommt das Zellkulturfleisch bislang allerdings noch nicht aus dem Bioreaktor. Denn die Nährlösung für das Wachstum der Zellen wird zumeist noch aus dem Blut von ungeborenen Kälbern gewonnen. „Das ist natürlich ethisch nicht vertretbar und wäre für eine Großproduktion außerdem schlicht zu teuer“, erläutert Biologin Kluger. Start-ups und Forschungsinstitute tüfteln daher an günstigeren und tierfreien Alternativen, zum Beispiel aus Pilzen, Hefe oder Algen. Kluger und ihr Team haben außerdem in einem Forschungsprojekt untersucht, ob auch Abfälle aus der regionalen Landwirtschaft als Basis für eine Nährlösung infrage kommen. „Die Ergebnisse sind durchaus vielversprechend“, betont die Biologin.

 

Kultiviertes In-vitro-Steak bleibt kompliziert

Dass in absehbarer Zeit neben Hackfleisch und Würstchenbrät täuschend echte Steaks im Labor gezüchtet werden, ist für Kluger eher unwahrscheinlich. Zwar kann man die Muskelzellen länger reifen lassen, um Muskelfasern zu bilden, wie sie in „echtem“ Fleisch vorkommen. Doch das verlängert und verteuert die Produktion und ist auch technologisch noch nicht abschließend gelöst. „Alternativ kann man das Zellfleisch mit pflanzlichen Proteinen kombinieren, um so der Fleischtextur schon recht nahezukommen“, sagt Kluger. Das verkleinert den CO2-Fußabdruck weiter und senkt zudem die Kosten, die aktuell noch deutlich höher liegen als bei Fleisch aus konventioneller Tierhaltung. Auch das Heidelberger Unternehmen The Cultivated B., das im September 2023 den ersten Zulassungsantrag für ein In-vitro-Würstchen in der EU gestellt hat, setzt in diesem Sinne auf einen Mix mit Pflanzenproteinen.

 

Der lange Weg zur Massenproduktion

Bis ihr Hybrid-Hotdog in Europa auf den Markt kommt, dürfte es noch einige Jahre dauern. Denn als sogenanntes Novel Food muss sich das Zellwürstchen einem ebenso strengen wie langwierigen Zulassungsverfahren unterziehen, um gesundheitliche Folgen für Verbraucherinnen und Verbraucher sicher auszuschließen. Parallel tüftelt The Cultivated B. zusammen mit anderen Unternehmen an Verfahren, um Zellkulturfleisch in industriellem Maßstab zu produzieren. „Das ist biotechnologisch aktuell noch die größte Herausforderung und die Voraussetzung dafür, In-vitro-Fleisch künftig zu vertretbaren Preisen anbieten zu können“, erklärt Petra Kluger.

Zunächst werde das Kulturfleisch nur einen kleinen Marktanteil haben und auch in 20 Jahren die Landwirtschaft nicht verdrängen, sondern nachhaltig ergänzen, zeigt sich Kluger überzeugt. Anders als etwa in den USA, in Israel oder den Niederlanden werde das große Potenzial aber hierzulande bislang zu wenig gesehen. Fördermittel seien knapp, problematisiert die Expertin: „Hier müssen wir den Einsatz und das Tempo erhöhen, um diese Zukunftstechnologie nicht zu verschlafen.“

 

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